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Aktuell

17. Februar 2019

Sehr geehrte Frau Isabella,

a
m kommenden Donnerstag beginnt im Vatikan eine der wichtigsten Konferenzen der Kirchengeschichte. Papst Franziskus hat die Vorsitzenden aller Bischofskonferenzen und aller Ordensgemeinschaften nach Rom zitiert. Das Treffen trägt nicht den Namen Konzil, aber es ist ein Konzil: Es ist ein Konzil der Schande, der Buße und, so hoffen viele empörte Christen, der radikalen Umkehr. Das Konzil handelt vom sexuellen Missbrauch. Die Bischöfe sollen nach ihrer Rückkehr "die anzuwendenden Gesetze kennen sowie die notwendigen Schritte unternehmen, um Missbrauch zu verhindern, sich um die Opfer kümmern und sicherstellen, dass kein Fall vertuscht oder begraben wird". So hat Papst Franziskus das Treffen angekündigt.

Täter dürfen nicht mehr als Priester arbeiten!

Schonungslose Diskussion? Schonungslose Aufklärung? Radikale Selbstkritik? Wie müsste das aussehen? Die Kirche müsste damit beginnen, das Wort "Missbrauch" durch "Gewalt" zu ersetzen; "Missbrauch" ist ein verharmlosender Begriff. Der sexuelle Missbrauch in Erziehungs- und Abhängigkeitsverhältnissen ist sexuelle Gewalt. Es geht nicht um lässliche Sünden, es geht um Gewaltverbrechen, und als solche müssen sie künftig im Gesetzbuch der katholischen Kirche, dem Codex Juris Canonici, bezeichnet und bestraft werden. Es muss dort festgehalten werden, dass Täter nicht mehr als Priester arbeiten dürfen. So stand es bis 1983 schon im kirchlichen Gesetzbuch. Der Täter soll, so lautete die Vorschrift im Kirchenrecht, "suspendiert, als infam erklärt, jedes Amtes, jedes Benefiziums, jeder Dignität und überhaupt jeder Anstellung enthoben werden". Die Verbrechen schreien nach so klaren Worten und so klarer Strafe (siehe dazu meinen Kommentar "Mühlstein am Hals" und den Gastkommentar des Kirchenrechtlers Peter Landau, "Sofort exkommunizieren" ).

Soeben hat Papst Franziskus einen US-Kardinal, den früheren Washingtoner Erzbischof Theodor McCarrick, wegen „sexuellen Fehlverhaltens im Umgang mit Minderjährigen und Erwachsenen“ und wegen Machtmissbrauchs aus dem Klerikerstand entlassen. Es ist dies ein Fall von vielen Tausenden, von Zehntausenden. Die Krise ist ganz oben angekommen. In Deutschland hat die im Herbst 2018 von der Deutschen Bischofskonferenz vorgestellte "Missbrauchsstudie" ergeben, dass zwischen den Jahren 1946 und 2014 1670 katholische Kleriker 3677 Minderjährigen Gewalt angetan haben (siehe dazu Matthias Drobinski, "Wenn beten nicht mehr hilft" ). Das sind nur die in der Studie belegten Fälle. Die tatsächlichen Zahlen werden noch viel, viel höher liegen.

"Ich bin oft der Verzweiflung nahe"

Franz-Josef Overbeck, der Essener Ruhrbischof, hat daraufhin in einem Interview erklärt: "Ich bin oft der Verzweiflung nahe". Er habe sein "Grundvertrauen in die Kirche zwar nicht verloren", aber er hadere "mit ihrer zeitlichen, gegenwärtigen Gestalt". In seiner Verzweiflung hat der früher konservative Bischof mit seiner Konservativität gebrochen. Er verteidigt das Pflichtzölibat, also die Ehelosigkeit der katholischen Priester, nicht mehr, so wie er das früher getan hat. "Es ist gut, dass jetzt wenigstens darüber geredet wird."

Ein 11. September der Kirche? Nein, die Gewalt kommt hier von innen

Der Essener Forensiker Norbert Leygraf untersuchte 2012 die Akten von achtzig straffällig gewordenen Priestern. Nur bei einer Minderheit gab es Hinweise auf Pädophilie, häufig aber auf unreife Sexualität, verdrängte Homosexualität und Einsamkeit der zölibatär lebenden Priester. Bischof Overbeck schrieb, "dass einige Vorstellungen und Aspekte unserer katholischen Sexualmoral sowie manche Macht- und Hierarchiestrukturen sexuellen Missbrauch begünstigt haben und immer noch begünstigen". Die sexuelle Gewalt ist nicht wie ein 11. September über die Kirche gekommen; sie kam von innen. Und sie wurde gefördert durch Kleinreden und Vertuschen.

Der unverschämte Überlegenheitsanspruch der Kirche

Der katholische Klerus hat sich diskreditiert, den Laien sexualmoralische Ansagen und Vorschriften zu machen – wie er es so lange gemacht hat. In der Februar-Nummer der "Stimmen der Zeit", der Zeitschrift der Jesuiten, ist dies das Urteil des Salzburger Dogmatik-Professors Hans-Joachim Sanders. Er weist daher einen abwimmelnden Vergleich zurück, der in der katholischen Kirche noch immer üblich ist: Es gäbe doch auch Sportvereine und weltliche Internate, andere Institutionen also, in denen missbraucht und eifrig vertuscht wird: "Der Vergleich verbietet sich", sagt der Theologie-Professor, "nicht nur aufgrund des Ausmaßes. In keiner anderen missbrauchenden Organisation wird ein Überlegenheitsanspruch erhoben wie in der katholischen Kirche." Seine Verbindung mit dem Missbrauch sei dessen katholisches Kennzeichen.


Papst Franziskus beim Angelus-Gebet am Sonntag.

Die Taten sind "katholisch", also allgemein, im buchstäblichen Sinn. Sie kontaminieren alles, was sich Kirche nennt. Es ist eine Gewalt, die sich verbreitet wie ein stinkendes Gas, vor dem man die Fenster nicht schließen kann. Und der Dreckhaufen, der mit den Verbrechen an den Kindern und Jugendlichen angehäuft wurde, ist so groß, dass er auch vor der Tür anderer Konfessionen liegt. Die Unwürdigkeit und Gemeinheit der Priester, die sexuelle Gewalttäter geworden sind, entehrt die Kirchen. Und das ist die weitergehende Gemeinheit: Auch untadelige, hochengagierte Seelsorger sind unter Generalverdacht geraten. Ihnen begegnen nicht selten Misstrauen, Verdrossenheit oder Spott.

Zölibat: Das falsche elfte Gebot

Beim Quasi-Konzil im Vatikan soll es auch eine Bußfeier geben; und Opfer sexueller Gewalt sollen Vorträge halten. Das genügt nicht. Die Bischöfe müssen über die katholische Macht und Sexualmoral reden – und über ihr bisheriges Priesterbild. Seit tausend Jahren tut der Vatikan so, als sei die Pflicht zur Ehelosigkeit der katholischen Priester das elfte Gebot. Es wurde und wird so getan, als sei der Zölibat heilige Pflicht. Das stimmt nicht. Und auch den meisten Katholiken gilt der verheiratete Priester nicht mehr als lutherische Verirrung, sondern als kluge Option. Die Abschaffung des Zölibats ist etwas, was der katholischen Kirche nottut und was die Kirchengemeinden brauchen. Es wäre gut, wenn die Vatikan-Konferenz in Rom zu dieser Erkenntnis käme. Dann wäre sie eine Jahrtausend-Konferenz.

Eine gute neue Februarwoche wünscht Ihnen

Heribert Prantl,
Mitglied der Chefredaktion und Leiter des SZ-Ressorts Meinung

Servus TV

Regierung plant härtere Strafen für Gewalttäter.

Bericht im Servus TV mit Alexandra Salvenmoser